Albtraum zu vergeben
Mein Freund Felix schläft schlecht. Er hat einen Wiederkehrenden Albtraum, den er gern vergeben möchte. In seiner Misanthropie geht er so weit, zu hoffen, er würde schon besser schlafen in der Gewissheit, dass andere Leute auch schlecht schlafen. Ich schulde meinem Freund Felix noch zweihundert Schilling. Er will sie mir erlassen, wenn ich ihm einen kleinen Wunsch erfülle. Nämlich seinen Alptraum hier aufzuschreiben. Damit er besser schlafen kann. Weil dann nämlich andere Leute auch . . . siehe oben. Was tut man nicht für einen Freund? Und für zweihundert Schilling.
Es fing ganz harmlos an.
Um einschlafen zu können, stellte sich Felix Schafe vor, die über eine Hürde sprangen. Dann stellte er sich vor, die Hürde sei die Grenze zweier Länder. Beispielsweise Uruguays und Paraguays. Er wusste nicht genau, ob es an der Grenze von Uruguay und Paraguay Schafe gibt, und seine Gedanken begannen ein wenig zu wandern. Er stellte sich vor, zwischen den beiden Staaten wäre es über die Frage der Schafe zu Streitigkeiten gekommen, zu schweren politischen Zerwürfnissen. Die Regierung von Uruguay hatte einen Riesenzorn auf die Regierung von Paraguay, und die Regierung von Paraguay hatte eine Viechswut auf die Regierung von Uruguay.
Weil sie so wütend war, beschloss die Regierung von Paraguay, der Regierung von Uruguay etwas anzutun. Sie wusste schon, was sie tun musste, um Uruguay auf die Nerven zu gehen! Sie erklärte den Wert des ausländischen Geldes für gefallen. Ein uruguayischer Dollar war von nun an in Paraguay nur noch 95 uruguayische Cent wert.
Nachdem die Regierung von Uruguay sich von diesem Schicksalsschlag erholt hatte, schritt sie zu Gegenmaßnahmen. Die Gegenmaßnahmen liefen ungefähr auf das gleiche hinaus. Auch die uruguayische Regierung erklärte den Wert des ausländischen Geldes für gefallen. Ein paraguayischer Dollar war von nun an in Uruguay nur noch 95 uruguayische Cent wert.
(So weit war mein Freund Felix gekommen, aber er konnte noch immer nicht einschlafen: Deshalb spann er seine Überlegung weiter. Das hätte er nicht tun sollen!)
Nun lebte, nahe der Grenze, ein Mann in Uruguay, der hatte immer Durst. Durst auf Bier. Schrecklichen, unlöschbaren Durst auf Bier. Außerdem hatte er nur einen einzigen Dollar, und zwar einen paraguayischen. Er hieß Fernando. Als die Sache mit der Geldabwertung passierte, ;war Fernando gerade neben der Grenze im Gras und hatte Durst. Auf der anderen Seite der Grenze, in Paraguay; stand ein Gasthaus, Fernando dachte lange nach. Dann erhob er sich, überschritt die Landesgrenze und betrat das Gasthaus in Paraguay, wo er ein großes Bier bestellte. Das Bier kostete gerade 5 paraguayische Cent.
Als es zum Zahlen kam, legte Fernando seinen ganzen Besitz, den paraguayischen Dollar, auf die Theke. Der Wirt wollte ihm gerade 95 paraguayische Cent herausgeben, als Fernando seine Hand festhielt.
>>Halt<<, sagte er, >>Einen Moment, bitte sehr! Anstelle der 95 paraguayischen Cent gib mir doch, wenn es recht ist, einen uruguayischen Dollar. Denn der ist, wie bekannt, in Paraguay ja gerade 95 paraguayische Cent wert, nicht wahr?.<<
Der Wirt sah das ein und gab Fernando einen uruguayischen Dollar. Dieser, der noch immer durstig war (er war unlöschbar durstig), kehrte über die Grenze zurück nach Uruguay, in sein geliebtes Heimatland. Auch in seinem geliebten Heimatland stand nahe der Grenze, ein Gasthaus. Fernando betrat es, grüßte freundlich und bestellte ein großes Bier. Das Bier kostete gerade 5 uruguayische Cent.
Als es zum Zahlen kam, legte Fernando seinen ganzen Besitz, einen uruguayischen Dollar, auf die Theke. Der Wirt wollte ihm eben 95 uruguayische Cent herausgeben, als Fernando seine Hand festhielt.
>>Halt<< sagte er, >>Einen Moment, bitte sehr! Anstelle der 95 uruguayischen Cent gib mir doch, wenn es recht ist, einen paraguayischen Dollar! Denn der ist, wie sicher bekannt, in Uruguay ja gerade 95 Cent wert, nicht wahr?<<
>>Woll, woll<<, sagte der Wirt. (Oder was Wirte in Uruguay eben zu sagen pflegen, wenn sie ihre Zustimmung ausdrücken wollen.) Und er gab Fernando einen paraguayischen Dollar. Fernando trat ins Freie. Die Sonne stand hoch, es war heiß, die Erde glühte. Er konnte sich nicht helfen. Er hatte Durst. Entsetzlichen Durst. Ein kleiner Spaziergang konnte nicht schaden, dachte er.
Der kleine Spaziergang führte ihn über die Grenze nach Paraguay und in das paraguayische Gasthaus. Dort selbst bestellte Fernando, unter Missachtung des Gesundheitszustandes seiner Nieren, ein großes Helles. Wir wissen schon, wie viel das große Helle kostete. Als es zum Zahlen kam, legte Fernando seinen ganzen Besitz, den paraguayischen Dollar, auf die Theke. Der Wirt wollte ihm gerade 95 paraguayische Cent herausgeben, als Fernando seine Hand festhielt.
>>Halt<<, sagte er, >>Einen Moment, bitte sehr! Anstelle der 95 paraguayischen Cent gib mir doch, wenn es recht ist, einen uruguayischen Dollar. Denn dieser ist, wie bekannt, in Paraguay ja gerade 95 paraguayische Cent wert, nicht wahr?<<
>>Richtig, richtig, mein Junge<<, sagte der Wirt. (Oder was Wirte in Paraguay eben zu sagen pflegen, wenn sie ihre Zustimmung ausdrücken wollen.) Und er gab Fernando einen uruguayischen Dollar.
Fernando trat ins Freie. Die Sonne stand schon etwas niedriger, aber es war nach wie vor heiß, und die Erde glühte noch immer. Fernando konnte sich nicht helfen. Er war entsetzlich durstig. Deshalb ging er über die Grenze nach Uruguay und als er dort das Gasthaus betrat, da stellte der Wirt schon ohne viele Worte ein großes Helles vor ihn hin.
Hier wollen wir aufhören.
Fernando trieb es so ein ganzes Jährlein. Dann platzten seine Nieren, und er starb auf uruguayischem Boden; nahe der Grenze. In seiner Tasche fand man einen paraguayischen Dollar.
>>Verflucht<< sagte der Arzt, der ihn untersuchte, >>wer hat wohl all das Bier bezahlt, das dieser Kerl getrunken hat?<<
Ich finde, das ist eine sehr treffende Frage. Mit ihr wollen wir schließen. Schlafen Sie gut, schöne Leserin, hochgeschätzter Leser!